Am vergangenen Samstag fand auf dem Neuköllner Hermannplatz erneut eine als “Folklore‐Tag” angemeldete Veranstaltung zum politischen Gedenkens an die sogenannte „Nakba“ statt. Als Nakba (arabisch = Katastrophe) wird dabei die Flucht von Palästinenser_innen im Zuge des Unabhängigkeitskrieges, der am 15. Mai 1948 von mehreren arabischen Staaten gegen Israel begonnen wurde bezeichnet.
Das JFDA – Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus hat einige Ereignisse des Tages, wie den körperlichen Übergriff auf einen israelischen Musiker nochmal zusammengefasst.
Am kommenden Donnerstag wird auch in Berlin wieder der 9. Mai als Tag des Sieges gefeiert. Der Berliner VVN-B.d.A lädt ab 14.00 Uhr zum südlichen Eingang des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park ein. Unter dem Motto 74. Jahrestag des Sieges: Wer nicht feiert, hat verloren!“ stehen Musik, Reden, Führungen sowie zahlreiche Essens- und Infostände auf dem Programm.
Vor wenigen Tagen wurde am Sowjetischen Ehrenmal die Statue „Mutter Heimat“ mit schwarzer Farbe übergossen [1] und
auch in Berlin-Buch wurde in der vergangenen Nacht das Sowjetische
Ehrenmal im Vorfeld der am 8. Mai geplanten Befreiungsfeierlichkeiten
mit Farbe beschmiert. Als Reaktion auf die Ankündigung
antifaschistischen Gedenkens an diesen Orten, hatte die örtliche NPD im
Internet zu „kreativen Aktionen“ aufgerufen. So zeigt sich, dass
Gedenken und Erinnern auch heute aktueller den je umkämpfte und
politische Räume darstellen,[2] die weder rechten, reaktionären, noch
antiemanzipatorischen Strömungen überlassen werden dürfen.
[2] Einen sehr zusammengestauchten Überblick zu verschiedensten aktuellen politischen Konflikten rund um das Gedenken im Treptower Park bietet dieser Artikel aus dem Tagesspiegel: https://www.tagesspiegel.de/…/schon-das-datum…/24304988.html Desweiteren sei auch nochmal auf einen Beitrag von Lukas Eichner und Johannes Spohr aus dem Jahr 2017 verwiesen, der insbesondere ein innerlinkes Gedenken an diesem Tag thematisiert und kritisiert: http://www.preposition.de/…/die-sehnsucht-nach-der-widersp…/
Auf
Indymedia ist ein umfänglicher und lesenswerter Rechercheartikel
erschienen. In Bezug auf die neueren Enthüllungen der Verbindungen
zwischen dem Neonazi Sebastian Thom, dem AfDler Tilo Paulenz und Beamten
des LKA, werden darin weitere personelle Verbindungen des Neuköllner
Bezirksverbands zu der organisierten Neonazi-Szene in Neukölln
aufgezeigt. „Der Bezirksverband Neukölln ist seit Jahren durchzogen mit Neonazis. AfD-Funktionäre
verabredeten sich zum Ausspähen eines Buchladens, der kurze Zeit später
von Angriffen bis hin zu Brandstiftung betroffen war. Zudem kursiert im
Landesverband eine sogenannte „Antifa-Liste“.“
Mit dem heutigen Sonnenuntergang des 2. Mai endet der israelische „Tag des Gedenkens an Shoa und Heldentum“ an dem zum einen der Opfer der Shoah gedacht und gleichzeitig an den jüdischen Widerstand und die tausenden jüdischen Partisan_innen erinnert wird. In Israel heulen dafür zwei Minuten lang die Sirenen auf und der Alltag steht für einen Moment des Gedenkens still.
Bild: „Monument to the Jewish Soldiers and Partisans who fought against Nazi Germany“, Yad Vashem
Die vergangenen Tage vor dem heutigen Tag der Befreiung Neuköllns haben
wir zum Anlass genommen, hier täglich einen historischen Ort in
Neukölln vorzustellen. Es sind Orte von jüdischem Leben, Verfolgung und
Widerstand. Um diese Orte noch etwas besser zu finden, haben wir zudem
eine kleine Karte erstellt, in der ihr alle bisher vorgestellten
Adressen und die dazugehörigen Informationen findet. Wir danken euch
allen für das große Interesse und Feedback und freuen uns, die Karte in
der Zukunft noch um viele weitere Orte des Erinnerns und Gedenkens zu
erweitern.
Am 24. April 1945 überschritten die ersten Einheiten
der Roten Armee die Südgrenze Neuköllns. In den folgenden Tagen gelang
es den sowjetischen Truppen gegen die deutschen Streitkräfte
vorzurücken. Die letzte Gegenwehr von deutschen Verbänden in Neukölln
konnte am 28. April 1945 gebrochen werden. Der Sieg der Alliierten
bedeutete das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Neukölln
und die Befreiung für Zwangsarbeiter_innen sowie Jüdinnen_Juden. Viele
der Zwangsarbeiter_innen und die absolute Mehrzahl der Neuköllner
Jüdinnen_Juden erlebten die Befreiung jedoch nicht mehr. Schließlich
bedeutete der Sieg der Roten Armee auch die Befreiung für die
Widerstandskämpfer_innen der verschiedenen sozialdemokratischen,
kommunistischen und liberalen Gruppen.
Mit dem Überfall
Deutschlands auf Polen im September 1939 hatte die NS-Eroberungspolitik
begonnen, die in den folgenden Jahren fast ganz Europa unter deutsche
Herrschaft zwang. Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion stellte eine
grundlegende Radikalisierung der NS-Kriegspolitik und des deutschen
Antisemitismus dar. Den Truppen der Wehrmacht folgten die deutschen
Einsatzgruppen, die in Massenerschießungen Kommunist_innen,
Jüdinnen_Juden und Rom_nja ermordeten. Zeitgleich verfolgten die
Deutschen das Ziel einer Neuordnung Osteuropas unter rassenpolitischen
Vorzeichen. Durch Deportation und Vernichtung von als nicht-arisch
definierten Menschen sollte „Lebensraum“ für die Deutschen geschaffen
und Osteuropa auf Dauer „germanisiert“ werden. Währenddessen wurden
Jüdinnen_Juden systematisch in Ghettos und Konzentrationslager
deportiert. Was sich angesichts der Novemberpogrome 1938 in Deutschland
kaum erahnen ließ, wurde im Zuge des deutschen Vernichtungsfeldzug gegen
die Sowjetunion zur Realität: die planmäßige, industriell organisierte
Vernichtung der Jüdinnen_Juden im deutschen Herrschaftsbereich. Bis
zum alliierten Sieg über Deutschland forderte der deutsche
Antisemitismus 6 Millionen Opfer. Gleichzeitig wurden aus einem
deutschen antiziganistischen Vernichtungswahns heraus hunderttausende
Sinti_zza und Rom_nja ermordet. Darüber hinaus wurden Millionen
Bewohner_innen der besetzten Länder, Kriegsgefangene, Kommunist_innen
und andere politische Gegner_innen, Homosexuelle und Trans_Personen,
Menschen mit sogenannten Behinderungen und als „asozial“ Verfolgte Opfer
der NS-Vernichtungspolitik. Während die dafür verantwortliche
deutsche Volksgemeinschaft an den Endsieg glaubte und die Mordpolitik
bis zuletzt mittrug, bedeutete der Sieg der Anti-Hitler-Koalition für
Millionen Menschen die Befreiung.
Der organisierte Massenmord an
Jüdinnen_Juden wurde durch die »Befreiung« beendet, nicht jedoch alle
Formen antisemitischer Verfolgung in West- und Osteuropa. In den
Hauptstädten der besetzten Länder wurden die Sieger mit Jubel begrüßt,
Jüdinnen_Juden hingegen hatten keinen Grund, sich zu freuen. Die wenigen
Überlebenden wussten, dass sie keinen Ort hatten, an den sie hätten
zurückkehren können. Die in Neukölln befreiten Zwangsarbeiter_innen,
vornehmlich aus der Ukraine und Belarus, haben bis heute keine
angemessene Entschädigung aus Deutschland enthalten. Überlebende müssen
um ihre Ansprüche auf die sogenannte „Ghetto-Rente“ kämpfen, während
ehemalige Mitglieder der SS und Wehrmacht hohe Renten beziehen.
Obwohl die in den vergangenen Jahren aufgenommenen Gerichtsverfahren
gegen NS-Täter deutlich gemacht haben, dass die funktionale Beteiligung
am Massenmord als »Beihilfe zur Haupttat« gewertet und entsprechend
geahndet werden kann, zeigt sich die deutsche Justiz weiterhin zögerlich
gegenüber noch lebenden und bisher nicht belangten Täter_innen. In den
Fällen, in denen Verfahren zu Ende geführt wurden, ertönte als
gesellschaftlichen Reaktion vielfach ein Unverständnis darüber, so alte
Menschen noch zu einer Haftstrafe zu verurteilen: Unter die
Vergangenheit solle lieber endlich ein Schlussstrich gezogen werden.
Noch aggressiver in die reaktionäre und revisionistische Kerbe schlagen
Vertreter_innen der „Neue Rechte“ und besonders der völkische Flügel
der AfD. Nicht erst seit Björn Höckes ausgesprochener Forderung nach
einer „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, ist der Angriff auf
die als Hindernis identifizierte Erinnerung an die Verbrechen des
Nationalsozialismus in der Partei Programm. Das erklärte Ziel ist die
deutsche Geschichte positiv zu besetzen. Dieses wird versucht umzusetzen
über parlamentarische Wege zur Streichung von Mitteln für Gedenkstätten
und historisch-politische Bildungsarbeit. Erinnerungspolitik wird
grundsätzlich diskutierbar. Die Vertreter_innen der Neuen Rechten
verschieben so den gesellschaftlichen Diskurs.
Den 28. April
nehmen wir zum Anlass, um an die Befreiung Neuköllns durch die Rote
Armee zu erinnern und dabei nicht zu vergessen, dass Antisemitismus,
Rassismus und Neonazismus Teil des bundesdeutschen Alltags sind.
Unser Dank gilt den alliierten Armeen, den Partisan_innen und allen
anderen Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens für die Zerschlagung
Deutschlands kämpften. Der Sieg über die Deutschen bedeutete nicht weniger als die Befreiung der Menschen vom Nationalsozialismus.