Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Der Berliner VVN-B.d.A lädt für heute zu einer Kundgebung vor das Berliner Abgeordnetenhaus ein, um unter dem Motto Der 8. Mai muss ein Feiertag werden – Berlin macht den Anfang! für eine ernsthafte Repräsentation des Tages der Befreiung in Berlin einzustehen.
Kundgebung | 6. Mai 2021 | 10.00 Uhr | vor dem Berliner Abgeordnetenhaus (Niederkirchnerstr. 5)
Nachdem die bisherige Anmeldung für den diesjährigen Quds-Marsch am 8. Mai in Berlin gestern zurückgezogen wurde, hat die genannte Parole wohl auch in diesem Jahr ihre reale Umsetzung gefunden. [1] Bereits in der vergangenen Woche wurden die diesjährigen antisemitischen Veranstaltungen im Iran aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. [2]
Ein nun in Berlin nicht stattfindender Aufmarsch ist dabei zunächst einmal zu begrüßen, aber birgt ähnlich wie die immer wieder geführte Debatte über Verbote auch einige Gefahren bezüglich eines antifaschistischen Engagements gegen Antisemitismus.
Gründe, um im Ergebnis ein Verbot und die momentane Absage gutzuheißen, liegen auf der Hand: weniger offener Antisemitismus auf den Straßen Berlins – zumindest an diesem Tag. Während der Quds-Demonstration müssen sich Jüdinnen_Juden und auch israelsolidarische Linke vor Angriffen schützen. Findet der Marsch nicht statt, würden zumindest die antisemitischen Angriffe, die regelmäßig seinem Kontext geschehen, ausbleiben. Das sind gute Aussichten, die die Berliner Straßen für die Betroffenen antisemitischer Gewalt zumindest temporärer sicherer machen. Gerade aus der Perspektive Betroffener ist ein Verbot mehr als ein symbolischer Akt, denn es geht im Zweifel um ihre körperliche Unversehrtheit und die Möglichkeit, sich ohne Angst auf den Straßen bewegen zu können.
Den 28. April als Tag der Befreiung Neuköllns haben wir zum Anlass genommen, um euch hier aber vor allem im Straßenbild historische Ort in Neukölln vorzustellen. Es sind Orte von jüdischem Leben, Verfolgung und Widerstand.
Käte Frankenthal [Rathaus Neukölln]
Im Neuköllner Rathaus arbeitete bis 1933 eine jüdische Ärztin: Käte Frankenthal (*1889, Kiel – †1976, New York). Sie war einer der ersten Frauen, die in Deutschland das Staatsexamen in Medizin ablegte. Politisch engagierte sie sich ab der zweiten Hälfte ihres Studiums in der SPD. Sie gehörte zum linken Flügel der Partei und war zwischenzeitlich Bezirksabgeordnete sowie Landtagsabgeordnete. 1918 bis 1924 arbeitete sie als (Assistenz-) Ärztin in der Berliner Charité. Daneben betrieb sie eine eigene Praxis, die sie auch nutzte, um Ehe- und Sexualberatungen durchzuführen und in der sie als überzeugte Gegnerin des Paragrafen §218 kostenlos Verhütungsmittel verteilte. 1928 zog sie als Stadtärztin (etwa vergleichbar mit dem Gesundheitsamt) ins Rathaus Neukölln ein und war dort auch für die Eheberatungsstellen zuständig. Als Abgeordnete der SPD in der Stadtverordnetenversammlung stellte sie einen Antrag, in dem sie forderte, sexuelle Aufklärung und Ausgabe von Verhütungsmitteln als öffentlicher Dienst in den städtischen Eheberatungsstellen zu etablieren, dem 1930 stattgegeben wurde. 1931 trat sie in die Sozialistische Partei Deutschlands (SAP) ein, da sie die Tolerierungspolitik der SPD gegenüber der NSDAP kritisierte. Nach der Machtübertragung an Adolf Hitler und die NSDAP am 30. Januar 1933 waren sie sowie ihre Genoss_innen von der ersten Verfolgungswelle der Nationalsozialist_innen betroffen. Auch ihr Vorgesetzter, der kommunistische Stadtrat Richard Schmincke, war in dieser ersten Welle festgenommen worden. So avancierte Frankenthal automatisch zur Stellvertretung des Stadtrats. Als solche hatte sie Zugang zu dessen Dienstzimmer, in dem sich einige kommunistische Parteiakten mit Namen und Adressen befanden. Frankenthal konnte diese erfolgreich aus dem Büro des Stadtrats schmuggeln und vernichten. Die Beseitigung und Vernichtung von Akten wurde mit einer Gefängnisstrafe bestraft. Durch diese Aktion konnte sie einigen Genoss_innen die Gefangennahme oder Lageraufenthalte ersparen. Bereits im März 1933 emigrierte Frankenthal nach Prag. Sie befürchtete, zu stark mit dem Antrag von 1930 über die umfunktionierung der Eheberatungsstellen assoziiert zu werden. Ihr Name war in der Berliner Politiklandschaft bekannt. Zudem war sie sich bewusst, dass sie als Jüdin, Sozialistin und Intellektuelle der Verfolgung der Nazis ausgesetzt gewesen wäre. Die Eheberatung wurde schließlich 1934 zur „Rassen- und Eheberatungsstelle“ umgewandelt. Seit dem Inkrafttreten des Zwangssterilisationsparagraphen wurde hier unter anderem darüber entschieden, wer wen unter welchen Umständen heiraten durfte.
Am 24. April 1945 überschritten die ersten Einheiten der Roten Armee die Südgrenze Neuköllns. Die letzte Gegenwehr von deutschen Verbänden in Neukölln konnte am 28. April 1945 gebrochen werden. Der Sieg der Alliierten bedeutete das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Neukölln und die Befreiung für Zwangsarbeiter_innen sowie Jüdinnen_Juden. Schließlich bedeutete der Sieg der Roten Armee auch die Befreiung für die Widerstandskämpfer_innen der verschiedenen sozialdemokratischen, kommunistischen und liberalen Gruppen.
Dabei gilt es auch heute nicht zu vergessen, dass Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus Teil des bundesdeutschen Alltags sind.
Unser Dank heißt auch weiterhin Krieg den deutschen Zuständen!
Am 24. April 1945 überschritten die ersten Einheiten der Roten Armee die Südgrenze Neuköllns. In den folgenden Tagen gelang es den sowjetischen Truppen gegen die deutschen Streitkräfte vorzurücken. Die letzte Gegenwehr von deutschen Verbänden in Neukölln konnte am 28. April 1945 gebrochen werden. Der Sieg der Alliierten bedeutete das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Neukölln und die Befreiung für Zwangsarbeiter_innen sowie Jüdinnen_Juden. Viele der Zwangsarbeiter_innen und die absolute Mehrzahl der Neuköllner Jüdinnen_Juden erlebten die Befreiung jedoch nicht mehr. Schließlich bedeutete der Sieg der Roten Armee auch die Befreiung für die Widerstandskämpfer_innen der verschiedenen sozialdemokratischen, kommunistischen und liberalen Gruppen.
Den 28. April nehmen wir zum Anlass, um an die Befreiung Neuköllns durch die Rote Armee zu erinnern und dabei nicht zu vergessen, dass Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus Teil des bundesdeutschen Alltags sind.
Unser Dank gilt den alliierten Armeen, den Partisan_innen und allen anderen Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens für die Zerschlagung Deutschlands kämpften. Der Sieg über die Deutschen bedeutete nicht weniger als die Befreiung der Menschen vom Nationalsozialismus.
Unser Dank heißt Krieg den deutschen Zuständen!
Obwohl die meisten Neuköllner_innen ebenfalls Teil der NS-Gesellschaft waren, gab es in dem Bezirk einen besonders lebendigen antifaschistischen Widerstand, der maßgeblich von Frauen bestimmt wurde. Wehrkraftzersetzung, Arbeitsvertragsbruch, Hilfe für Verfolgte sind dabei nur einige Beispiele. Doch welche Orte erinnern noch heute in der Gegend, die schon in den Zwanzigern immer wieder Schauplatz blutiger Straßenkämpfe zwischen Nationalsozialisten und Kommunist_innen gewesen war, an die Geschichte und ihre Akteur_innen? Wir wollen euch auch in diesem Jahr, in dem viele geplante Veranstaltungen des Gedenkens leider nicht in der gewohnten Art und Weise stattfinden können, Orte von jüdischem Leben, Verfolgung und Widerstand vorstellen.
Vom 24. April bis 22. Mai 2021 finden in Berlin-Pankow verschiedene Veranstaltungen in Gedenken an die Befreiung des Bezirks statt. Sie sind von der EAG Berlin in Kooperation mit der Pankower VVN-BdA, dem JUP – Unabhängiges Jugendzentrum Pankow e.V., der Roten AG und der PAO organisiert.
Den morgigen Auftakt macht ein Rundgang zur Geschichte der Schönholzer Heide. Es wird die Vorgeschichte als Wald und Vergnügungspark, die Zeit als Zwangsarbeiter_innenlager, die Orte des Sowjetischen Ehrenmal und der Kriegsgräberstätte beleuchtet und die Nachnutzung des Parks nach 1945.Der Rundgang dauert etwa 2 Stunden und ist kostenlos.Er erfolgt coronakonform (Abstand und MNS).
Samstag, 24. April 2021 | 15.00 Uhr | Rundgang zur Geschichte der Schönholzer Heide | Treffpunkt: Bushaltestelle Hermann-Hesse-Straße (Bus 150, 155)