Redebeitrag zu den rechten Anschlagsserien in Neukölln, gehalten auf der Demonstration anlässlich des 9. Jahrestages des Mordes an Burak in Süd-Neukölln am 05.04.2021.
Liebe Familie und Freund_innen von Burak, liebe Mitdemonstrierende, liebe Passant_innen, liebe Anwohner_innen!
Der Mord an Burak Bektaş jährt sich heute zum neunten Mal. Wir sind nicht in der Position, den unschätzbaren Verlust in Worte zu fassen, den der Tod eines geliebten Menschen bedeutet oder auch nur ansatzweise den Schmerz nachempfinden zu können, den der brutale Mord an Burak bei denen hervorgerufen hat, die ihn kannten. Wir werden den Kampf um die Aufklärung weiterhin nach Kräften unterstützen und der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş in ihrer so wichtigen Arbeit zur Seite stehen.
Obwohl die neonazistische Angriffsserie gegen Antifaschist_innen abebbte, bleiben Neukölln und seine Nazis in aller Munde. Einer der mutmaßlichen Haupttäter Sebastian Thom war über den vergangenen Jahreswechsel für einige Wochen in Untersuchungshaft, musste jedoch wieder entlassen werden.
Ein zweiter mutmaßlicher Haupttäter ist Tilo Paulenz, ehemaliges Vorstandsmitglied der AfD Neukölln mit guten Kontakten zum faschistischen „Flügel“. Er wurde gemeinsam mit Thom im Dezember festgenommen, aber vom Vollzug der U-Haft durch ein Gericht verschont.
Beide Neonazis stehen aktuell gemeinsam vor Gericht. Sie sollen Parolen zur Verherrlichung von Rudolf Hess gesprüht haben. In dieser Nacht im August 2017 verkleben sie auch AfD- Aufkleber. Das Verfahren gibt es nicht wegen der vielfältigen Hinweise auf ihre Beteiligung an der Neuköllner Anschlagsserie, sondern weil sie von der Polizei zufällig bei ihrer nächtlichen Sprühtour beobachtet worden waren. Doch auch dieser Prozess steht mittlerweile vor dem aus.
Die Anschlagsserie und die Ermittlungen dazu zeigen wieder einmal, dass auf staatliche und polizeiliche Ermittlungen kein Verlass ist, besonders nicht, wenn es darum geht, gegen Neonazis und rassistische Gewalt vorzugehen. Wenn die Leiterin der Rechtsextremismus-Abteilung des LKA behauptet, die Berliner Polizei hätte ihre Lehren aus dem NSU gezogen, dann ist das blanker Hohn. Denn der Mord an Burak ist bis heute unaufgeklärt. Er wurde bisher ebenso wenig als rechter Mord eingestuft, wie der Mord an Luke Holland. Offensichtlich Zusammenhänge zwischen den beiden Fällen werden systematisch ausgeblendet.
Beide Fälle sind auch vor dem Hintergrund überschaubarer, aber gut organisierter Nazistrukturen zu sehen, die schon länger insbesondere im Süden Neuköllns ansässig sind. Über Jahre arbeiten sie daran, den Berliner Südosten zu einem Ort zu machen, an dem Menschen mit Migrationsgeschichte und politisch Andersdenkende sich nicht mehr ohne Angst bewegen können. Diese Strategie äußerte sich vor allem in rassistischen Angriffen, aber immer wieder auch in gezielten Attacken auf vermeintliche politische Gegner_innen und ihre Treffpunkte.
Aufgrund wachsenden antifaschistischen Widerstandes änderte die Neuköllner Naziszene ihr Vorgehen. Ihr Fokus liegt seitdem auf Anti-Antifa Aktionen im Norden des Bezirks. In Kiezen also, die den Ruf haben, vermeintlich sichere Wohn-und Ausgehgegenden zu sein. Unbehelligt von der Polizei und so genannten Sicherheitsbehörden konnten sie ihr klandestines Vorgehen über Jahre perfektionieren. Eine militante Zelle knüpfte unter dem Label „Freie Kräfte Berlin Neukölln“ an die Aktivitäten des ehemaligen „Nationalen Widerstandes Berlin“ an und veröffentlichte im Sommer 2016 eine Liste mit linken Lokalitäten, samt kaum verhohlenem Aufruf, gegen diese vorzugehen. Zum Jahrestag der antisemitischen Novemberpogrome am 9. November wurde dann eine Auflistung mit jüdischen Einrichtungen in Berlin veröffentlicht. Vergangenes Jahr wurden in einer koordinierten Aktion zahlreiche zur
Erinnerung verlegte Stolpersteine gestohlen oder beschädigt. Angriffe gibt es auch weiterhin, so wurden beispielsweise auf migrantisierten Geschäfte und Wohnhäuser im Umfeld der Sonnenallee wiederholt Hakenkreuze gesprüht.
Eine Polizei, die auf ganzer Linie versagt. Der Mord an Burak weiterhin nicht aufgeklärt. Nazis, die unbehelligt Brandanschläge verüben. Eine Neuköllner CDU, die sich nicht zu schade ist, in der BVV mit der AfD gemeinsame Sache gegen zivilgesellschaftliche Anti-Naziarbeit zu machen. In diesem Klima ist es wichtiger denn je, die vorhandenen Strukturen zu stärken, auszubauen und an der Seite von Betroffenen zu stehen. Organisiert euch, werdet aktiv und lasst Nazis und Rassist_innen nicht aus den Augen.
Recherche, Analyse, Aktion – Antifa bleibt Handarbeit!