Redebeitrag zur Kontinuität von Judenfeindschaft, antisemitischen Denkens und Rechtsterrorismus in Deutschland, gehalten auf der antifaschistischen Kundgebung am 9. November 2019 in Berlin-Moabit in Gedenken an die Novemberpogrome von 1938.
Liebe Antifaschist_innen,
Jüdisches Leben ist seit Jahrtausenden Bestandteil europäischer Gesellschaften. Beinahe ebenso lang besteht die Kontinuität von Judenfeindschaft und antisemitischen Denkens.
Die völkische Bewegung in Deutschland konnte also bereits in deren Anfängen aus einem im kollektiven Gedächtnis fest verankerten, üppigen Repertoire antijüdischer sowie antisemitischer Bilder und Narrative schöpfen.
Der in der BRD zuletzt 2017 groß gefeierte Reformator Martin Luther hatte schon Jahrhunderte zuvor zur Verfolgung von Jüdinnen und Juden aufgerufen. Für Luther war klar: Wenn Jüdinnen_Juden nicht zum Christentum konvertieren wollen, müssen ihre Synagogen brennen. Die Universität von Halle an der Saale trägt bis heute seinen Namen. Zum religiös begründeten Judenhass gesellte sich antisemitisches Verschwörungsdenken. Die antisemitische Klassiker Fälschung „Die Protokolle der Weisen von Zion“ aus dem 19. Jahrhundert ist bis heute wirksam. Sie bildete die Grundlage für die Behauptung einer jüdischen Weltverschwörung. Auch der Nationalsozialismus stützte sich auf dieses Weltbild. Nationalsozialist_innen erklärten schließlich alle Menschen zu Feinden, die nicht in ihr deutsch völkisches Weltbild passten. Die Idee der Herstellung und vermeintlich notwendigen „Verteidigung“ eines deutschen Volkskörpers gipfelte schließlich in der Vernichtung von Millionen von Menschen im Holocaust.
Eine immer wieder beschworene „Stunde Null“ hat es nach der militärischen Zerschlagung des Nationalsozialismus im Mai 1945 nie gegeben. Für die Deutschen war der verlorene Krieg und der Verlust der Ostgebiete ein weit höheres Opfer als die systematische Ermordung ganzer Bevölkerungsgruppen. Die Existenz der Shoah wird von einigen bis heute schlichtweg geleugnet. Vernichtungslager werden als Lügen bezeichnet, die Juden_Jüdinnenerfunden hätten, um deutsche Entschädigungszahlungen zu erpressen. Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist nicht nur für die AfD ein zu überwindendes Hindernis auf dem Weg zu vermeintlichen „Normalität“ deutscher Großmachtbestrebungen. Bis tief hinein in linkliberale Milieus wird der antisemitische Massenmord durch die Eltern- und Großelterngeneration zur Entlastung ausgerechnet auf den jüdischen Staat Israel ausgelagert.
Im offiziellen Deutschland muss das wieder entstehende jüdische Leben inzwischen als Beweis für die Läuterung der eigenen Nation herhalten. Die Befreiung von der Schuld ist immer noch Staatsraison. Wie es um die „Normalität“ jüdischen Lebens bestellt ist, zeigt ein Blick in deutsche Schulbücher. Jüdinnen und Juden finden abseits von Klischees meist nur im Kontext von Nationalsozialismus und Nahost-Konflikt Erwähnung. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Ursachen von Nationalsozialismus und Antisemitismus findet nicht statt.
Dabei vergeht kaum ein Tag, an dem in Deutschland kein Fall von antisemitischer Gewalt dokumentiert wird. Rechtsterroristische Anschläge haben in der BRD nach 1945 eine lange Geschichte. Der Verleger und Rabbiner Shlomo Lewin war 1960 in die BRD zurückgekehrt. Im Dezember 1980 wurde er mit seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke von einem Mitglied der militanten neonazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ in ihrem gemeinsamen Haus im bayerischen Erlangen erschossen. Im Juli 2000 wurden bei einem Sprengstoffanschlag in Düsseldorf-Wehrhahn zehn Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt, überwiegend jüdische Kontingentflüchtlinge. Der mutmaßliche Täter auch hier ein Rechtsterrorist. Sie können auf eine langlebige und wandlungsfähige
antisemitische Ideologie zurückgreifen. Dazu zählt auch die modernisierte Vorstellung, bei Einwanderung und Feminismus handele es sich um eine angeblich von jüdischen Eliten am Reißbrett ausgedachte Verschwörung gegen alle Weißen. Eine Vorstellung die am 9. Oktober 2019 dem Attentäter als Motiv diente, für seinen Plan in der Synagoge in der Halle an der Saale am höchsten Feiertag Yom Kippur möglichst viele Juden_Jüdinnen zu töten.
Tödlicher Antisemitismus ist weder „undenkbar“ noch ein „Alarmzeichen“, wie ihn deutsche Politiker_innen den Anschlag von Halle in ihren Sonntagsreden nannten. Das fehlende Verständnis von Nationalsozialismus und antisemitischer Ideologie und die ausbleibende Aufarbeitung der Bedingungen ihrer Entstehungen begünstigen einen erneuten zivilisatorischen Bruch.
Primo Levi sagte einst: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“.
Bei Kundgebung am Mahnmal an der Levetzowstraße haben wir gemeinsam still der Opfer gedacht, mit dieser antifaschistischen Demonstration wollen wir nun laut die Forderung formulieren:
Gegen jeden Antisemitismus! Nieder mit Deutschland und für den Kommunismus!