Redebeitrag zum Geschichtsrevisionismus der „Alternative für Deutschland“, gehalten auf der antifaschistischen Demonstration am 9. November 2016 in Berlin-Moabit in Gedenken an die Novemberpogrome von 1938.
Liebe Antifaschist_innen,
die antifaschistische Demonstration am 9. November in Moabit kann auf eine eindrucksvolle Geschichte zurückblicken. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren gehen Antifaschist_innen anlässlich des Jahrestages der Novemberpogrome gemeinsam gegen den deutschen Antisemitismus und Rassismus auf die Straße. Der Aufruf endet auch in diesem Jahr mit der Mahnung: „Dem Gedenken an die deutschen NS-Verbrechen, an die Opfer des Faschismus und dem Vermächtnis des antifaschistischen Widerstands auch weiterhin Gehör zu verschaffen sowie Konsequenzen daraus einzufordern, bleibt die wichtigste Aufgabe für alle Antifaschist_innen.“ Die Erinnerung an diesen historischen Auftrag erscheint in diesem Jahr so aktuell wie selten zuvor. Die Gedenktafeln und Mahnmäler an Levetzowstraße und Putlitzbrücke wurde seit der Demonstration im vergangenen Jahr fast ein dutzend Mal beschädigt. Das Gedenken an die Jüdinnen und Juden, die von Moabit aus zu den Stätten ihrer Ermordung deportiert wurden, wird als „Lüge“ verunglimpft. Hinzu kommt, dass mit der „Alternative für Deutschland (AfD)“ eine politische Kraft den Marsch in die Parlamente angetreten hat, die nicht nur brennenden Flüchtlingsunterkünften, sondern auch einer aggressiven Verharmlosung des Nationalsozialismus und offenem Antisemitismus rhetorisch den Weg ebnet. Schaut mensch sich etwa die neugewählten Abgeordneten der AfD im Abgeordnetenhaus und den Bezirksversammlungen einmal näher an, dann sind antisemitische Verschwörungsideologien selten mehr als ein Klick entfernt. Der Thüringer Landeschef Björn Höcke nahm vor wenigen Tagen in einer Rede kein Blatt mehr vor dem Mund: Er solidarisierte sich mit der notorischen Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck und bagatellisierte ihre Verhöhnungen der Opfer im unverhohlenen Neonazi-Jargon als „Meinungsdelikte.“ Martin Hohmann hatte in einer Rede 2003 von Jüdinnen und Juden als „Tätervolk“ schwadroniert und wurde aus der CDU ausgeschlossen. Die AfD hat Hohmann inzwischen mit offenen Armen aufgenommen und ihn jüngst mit einem aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagwahlen belohnt. Höckes und Hohmanns Mission, die lästige Erinnerung an die Shoah aus dem Weg zu räumen, ist allem Anschein nach in ihrer Partei so etwas wie der geschichtspolitische Common Sense.
Dazu gehört auch der Versuch, durch andauernd inszenierte Tabubrüche die Sprache des historischen Nationalsozialismus wieder zum akzeptierten Teil des politischen Diskurses zu machen. Zu ihren „natürlichen Verbündeten“ zählt die AfD nach den Worten ihrer Spitzenpolitiker_innen die rassistische Straßenbewegung der „Pegida“. Beliebteste Vokabel des außerparlamentarischen AfD-Arms wie inzwischen auch auf den Demonstration der Partei selbst ist die Beschimpfung von Journalist_innen als „Lügenpresse“: Ein Kampfbegriff mit 150-jähriger antisemitischer Geschichte. Das ihm zu Grunde liegende Ressentiment eint heute sich bürgerlich gebende Rechtspopulist_innen und militanten Neonazis. Reaktionäre katholische Aufklärungsgegner_innen nutzten ihn bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in ihre Kampagne gegen liberale Presseorgane. Die „Lügenpresse“ erhielt später Einzug in die Tiraden nationalsozialistischer Propagandisten von Rosenberg über Goebbels bis Hitler. Sie war schon zuvor beliebte Hetzformel der völkischen Bewegung gegen den vermeintlichen jüdischen Einfluss auf die veröffentlichte Meinung gewesen. Ausgerechnet das namensgebende Attribut dieser Bewegung will die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry wieder „positiv besetzen“, wie sie öffentlich erklärte. Die nachgeschobene Rechtfertigung ignoriert ob bewusst oder unbewusst, dass die völkische Bewegung seit jeher und nicht erst im Nationalsozialismus eine Bewegung war, die die Beseitigung jeglicher humanistischer Errungenschaften in der rassistisch-biologistischen wie selbstverständlich auch antisemitischen Fiktion der Volksgemeinschaft zum Ziel hatte.
Mit der Enttabuisierung der Begrifflichkeiten ginge auch eine Rehabilitierung des dahinter stehenden Denkens einher. Antifaschist_innen sind daher besonders gefordert effektiven Widerstand gegen einen Partei zu organisieren, die ständig bemüht ist, ob durch aggressiv artikulierte Schuldabwehr oder durch die sprachliche Hintertür nationalsozialistische Ideologiefragmente erneut massenkompatibel zu machen. Im Bewusstsein der Beschränktheit der eigenen diskursiven Macht, gilt es mit aller Kraft die AfD wo immer möglich zu demaskieren und ihr keine Ruhe zu lassen.
Um noch einmal den Aufruf zur heutigen Demonstration zu zitieren. Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano hat gesagt: Erinnern heißt Handeln! In unsere eigenen Worte übersetzt:
Egal ob im Kampf um die Straße oder im Kampf um die Begriffe – Antifa in die Offensive!