Am 24. April 1945 überschritten die ersten Einheiten der Roten Armee die Südgrenze Neuköllns. In den folgenden Tagen gelang es den sowjetischen Truppen gegen den erbitterten deutschen Widerstand vorzurücken. Die letzte Gegenwehr von deutschen Verbänden in Neukölln konnte am 28. April 1945 gebrochen werden. Die Rote Armee hatte Neukölln befreit. Der Sieg der Alliierten bedeutete das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Neukölln. Er bedeutete die Befreiung für Zwangsarbeiter*innen und Jüdinnen*Juden in Neukölln. Viele der Zwangsarbeiter*innen sowie die absolute Mehrzahl der Neuköllner Jüdinnen*Juden erlebten die Befreiung jedoch nicht mehr. Nur wenigen war es vorher gelungen, unterzutauchen und zu überleben. Schließlich bedeutete der Sieg der Roten Armee auch die Befreiung für die Widerstandskämpfer*innen der verschiedenen sozialdemokratischen, kommunistischen und liberalen Gruppen.
In den vergangenen Jahren haben wir den Tag der Befreiung Neuköllns immer wieder zum Anlass genommen, um unsere Kritik an den heutigen deutschen Zuständen in Veranstaltungsreihen, Ausstellungen, Demonstrationen und Festen zu formulieren. Dabei ging es unter anderem um Kontinuitäten, der Entwicklung Deutschlands zum „Aufarbeitungsweltmeister“ und dem gleichzeitig erstarkenden deutschen Führungsanspruch auf dem internationalen Terrain, aber auch um konkrete rassistische Vorfälle, oder die gesellschaftliche Verschleierung von tradiertem Antisemitismus hinter vermeintlicher „Israelkritik“. Der Aufruf zu der Veranstaltungsreihe im vergangenen Jahr spiegelt dabei auch heute noch eine traurig aktuelle, deutsche Realität wider.
Besonders offensichtlich zeigten sich die deutschen Zustände im vergangenen Sommer als der völkisch-rassistische Mob sich in Heidenau und in vielen weiteren Städten und Dörfern formierte, um eine neu bezogene Unterkunft für Geflüchtete zu attackieren. Noch immer kommt es täglich zu rassistischen Angriffen auf Unterkünfte, Geflüchtete und ihre Unterstützer_innen. Die Anzahl derartiger Vorfälle steigt auch seit Anfang des Jahres weiter an. Während Deutschland es schafft, sich als Reaktion auf diese Entwicklung auch noch geschickt den Titel als „Willkommensweltmeister“ zu verleihen, indem es die notwendige humanitäre Arbeit, dort wo möglich, auf solidarische Bürger*innen und Aktivist*innen abschiebt, setzen die „etablierten“ Parteien weitere deutsche Werte durch, indem sie eine erneute Verschärfung des Asylrechts beschließen und durchsetzen. So verwunderte es kaum, dass die AfD bei ihrem Einzug in mehrere Parlamente ganz offensiv mit ihren völkisch-deutschen Ansichten werben kann.
Bei einer Fokussierung auf die anhaltende rassistische Mobilisierung wird jedoch oftmals vergessen, welche weiteren Elemente ebenfalls tief in diesen Bewegungen und der deutschen Gesamtgesellschaft verwurzelt sind. Nicht nur in Berlin werden alltäglich antisemitische Vorfälle gemeldet, die von Beschädigungen und dem Sprühen von antisemitischen Parolen, über Beleidigungen bis hin zur Schändung von jüdischen Friedhöfen und tätlichen Angriffen auf Menschen reichen. Antisemitismus ist weder lediglich ein Problem in Bezug auf organisierte Neonazis oder islamistischer Gruppierungen.
Den 28. April nehmen wir zum Anlass, um an die Befreiung Neuköllns durch die Rote Armee zu erinnern und dabei nicht zu vergessen, dass Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus Teil des bundesdeutschen Alltags sind.
Unser Dank gilt den alliierten Armeen, den Partisan*innen und allen anderen Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens für die Zerschlagung Deutschlands kämpften. Der Sieg über die Deutschen bedeutete nicht weniger als die Befreiung der Menschen vom Nationalsozialismus.
Unser Dank heißt Krieg den deutschen Zuständen!
(Bildbeschreibung: Soldat*innen der 150th Rifle ‚Idritskaya‘ Division feiern 1945 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin.)