Redebeitrag zu autoritären und antiemanzipatorischen Strategien und Praktiken im antizionistischen Protestmilieu, gehalten auf der antifaschistischen Demonstration in Berlin-Moabit in Gedenken an die Novemberpogrome von 1938.
Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
„Erinnern heißt Handeln“ – unter dieser Maxime versammeln sich inzwischen seit über 30 Jahren schon ganze Generationen von Berliner Antifaschist_innen hier in Moabit. Die Wichtigkeit unserer Zusammenkunft heute hat seitdem nichts an Relevanz und Notwendigkeit verloren. Im Gegenteil – die nicht zuletzt durch Überlebende hart erkämpfte Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist Angriffen von verschiedenen Seiten ausgesetzt. Die AfD, die diese Erinnerung stören will, indem sie gegen den „Schuldkult“ wettert und kritische Historiker_innen aus Gedenkstätten entfernen möchte, ist 2024 endgültig zu einem unübersehbaren Machtfaktor geworden.
Gleichzeitig kam es nach dem Massaker der Hamas und ihrer Verbündeten am 7.Oktober 2023 zu einem dramatischen Anstieg des Antisemitismus in Berlin. Dies äußert sich auch in Angriffen auf das Gedenken an den Nationalsozialismus und die Shoah. Im Mai diesen Jahres wurde das Mahnmal für das ehemalige Sammellager für aus Moabit deportierte Jüdinnen_Juden in der Levetzowstraße mit den Sprüchen „Free Palestine“ und „Fuck Israel“ beschmiert. Wenige Tage nach unserer Demonstration im letzten Jahr wurde ein Schaukasten mit einer Ausstellung zu jüdischem Leben in Moabit sogar angezündet. Vor gut zwei Monaten wurde am Denkmal für den Rosenstraßen-Protest gegen die Deportationen im Rahmen der „Fabrik-Aktion“ in einer Sprüherei explizit Jüdinnen_Juden vorgeworfen, einen Genozid zu begehen.
So ungeheuerlich dieser unverhohlene Antisemitismus klingen mag, findet er doch Anklang bis tief hinein in selbsternannte progressive Milieus. Eine linke akademische Blase arbeitet schon seit langem diskursiv daran, die Shoa in der geschichtlichen Betrachtung als einen Genozid unter vielen erscheinen zu lassen. In ihnen nahe stehenden, aktivistischen Kreisen wird dies spätestens seit der Documenta 2022 in die Parole „Free Palestine from German Guilt“ übersetzt.
Ganz offen wird mir diesem Slogan die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus als Hindernis für die Normalisierung des eigenen Israel-Hass benannt.
Vom Applaus von Martin Sellner und anderen rechten Anti-“Schuldkult”-Aktivist_innen lässt man sich jedoch nicht irritieren. Ganz im Gegenteil, diese Verharmlosung der Shoa bedient sich offen an rechten Argumentationsfiguren.
Stattdessen sieht man sich, im Stil deutscher Wutbürger, gern als Opfer einer „Cancel Culture“. Eine Auseinandersetzung damit, ob Veranstaltungsabsagen mit tatsächlichen antisemitischen Äußerungen der Auftretenden zusammenhängen könnten, tangieren die selbst ernannten Meinungsfreiheit-Ultras nicht. Lieber nutzen sie die selbstgewählte Opfer-Rolle, um daraus die Legitimation zu ziehen, alle niederzubrüllen, die mit Israel in Verbindung gebracht werden.
Konkrete politische Positionen interessieren dabei nicht. Im Februar brachten Anti-Israel-Aktivist_innen eine Veranstaltung mit einer obersten Richterin Israels zum Abbruch, die eigentlich als scharfe Kritikerin der Politik von Premierminister Benjamin Netanjahu bekannt ist. Selbstentlarvend wurde im gleichen Monat in der Nationalgalerie Hamburger Bahnhof gezielt der Auftritt der Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt am Main gestört und ausgerechnet der Abbruch einer Performance zum Thema Meinungsfreiheit erzwungen.
In Berlin zeigt sich momentan, dass Gegner_innen der selbst ernannten Palästina-Solidaritätsbewegung, auch persönlich attackiert werden. Das Wohnhaus einer ihrer besonderen Hassfiguren, der derzeitiger Berliner Kultursenator, wurde mit roter Farbe beschmiert und der Politiker in Sprühereien als Täter eines Genozides verunglimpft. Ähnlich erging es Mitarbeiter_innen der Freien Universität. Nachdem die FU teils antisemitischen Protest auf dem Hochschulgelände nicht geduldet hatte, wurde kürzlich ein Gebäude gestürmt und die gänzlich unbeteiligten Uni-Mitarbeiter_innen pauschal als “Mörder” und “Komplizen” Israels angeprangert. Dies sind nur einige Beispiele für einen Protest, der sich im Kern autoritären und antiemanzipatorischen Strategien und Praktiken bedient.
Als Echokammer für den vermeintlich revolutionären Aktionismus dient dabei die selbstbestärkende Bubble auf Social Media Plattformen. Seit dem 7. Oktober feierten antizionistische Influencer_innen Reichweitenerfolge mit antisemitischen und islamistischen Inhalten, propagandistischen Des- und Fehlinformationen aus russischen und iranischen Quellen und insbesondere dem Ausschlachten der eigenen Opfererzählung. Wie bereits in verschwörungsideologischen Kontexten zu beobachten, erfolgt die tägliche Bestätigung des unterkomplexen Weltbildes der „Instagram-Intifada“ vor allem abseits der als „Zionisten-“ oder gleich „Lügenpresse“ bezeichneten, herkömmlichen Presselandschaft.
An die Stelle einer Kritik mit dem Ziel der Veränderung, tritt ein aggressiver Bekenntniszwang. Statt aufzuklären und zu überzeugen, sollen als wesenhaft Böse gezeichnete und als “Zionisten” abgestempelte Gegner_innen mundtot und letztendlich politisch vernichtet werden. Ob “Judenstern” an Wohnhäusern oder Brandanschläge und “Rote Dreiecke” an antisemitismus-kritischen linken Locations – das Argument wird ersetzt durch Feindmarkierungen.
Wir müssen diesen Angriffen auf das Gedenken und der Vereinnahmung von linken Räumen und Bewegungen etwas entgegensetzen. Das heißt, die Errungenschaften zu verteidigen, in deren Tradition sich diese antifaschistische Demonstration stellt. Der Rote Winkel der Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus kennzeichnete im KZ-System des Nationalsozialismus, die aus politischen Gründen verfolgten Häftlinge. Eine Gruppe Überlebender formulierte nach der Befreiung des Lagers Buchenwald einen Schwur, der für das Selbstverständnis unseres Antifaschismus bis heute prägend ist:
„Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“
Den Faschismus mit seinen Wurzeln zu zerschlagen, heißt immer noch und für immer gegen JEDEN Antisemitismus zu kämpfen!
Vielen Dank!