Redebeitrag „Auch hier und heute: Der Hauptfeind bleibt Deutschland!“, gehalten auf der antifaschistischen Kundgebung am 03. August 2013 in Berlin-Charlottenburg gegen den Al Quds-Tag.
Gemeinsam demonstrieren wir heute gegen den alljährlichen, antisemitischen Al-Quds-Marsch von hunderten Islamist_innen, Antizionist_innen und Anhänger_innen des Regimes im Iran. Ohne jeden Zweifel sind die Kritik an diesen antisemitischen und fundamentalistischen Positionen sowie der Protest gegen die aktiv auf die Straße getragene Vernichtungsdrohung gegen den Staat Israel wichtig. Allerdings muss festgestellt werden, dass die zum Al-Quds-Marsch aufrufenden Gruppen innerhalb der deutschen Gesellschaft stark marginalisiert sind, sodass ihre politische Relevanz als verhältnismäßig gering eingeschätzt werden kann. Diese traurigen Gestalten stellen keineswegs den Fokus unserer Kritik dar. Vielmehr muss es die Kernaufgabe einer radikalen Linken in Deutschland sein, die deutschen Verhältnisse und somit den deutschen Staat ins Visier zu nehmen.
In der Blockkonfrontation des Kalten Krieges wurde die BRD noch zum Bündnis mit dem jüdischen Staat gezwungen. Der diese Politik begleitende Philosemitismus muss als ein Fortbestehen des deutschen Antisemitismus unter gewandelten Vorzeichen verstanden werden. Von einer Überwindung des antisemitischen Denkens innerhalb der deutschen Gesellschaft oder gar ihrer staatlichen Repräsentanten bedeutete er keineswegs. Nach der Wende 1989/90 verlangte das neue, größer gewordene Deutschland nach der Neukonstruktion einer unbelasteten deutschen Identität. Die Normalisierung des positiven Bezugs auf die deutsche Nation abseits defensiver Mechanismen der Schuldabwehr konnte nun nur durch die erinnerungspolitische Integration der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust gelingen. Die lange Zeit vergeblich eingeforderte, umfangreiche Darstellung der Verbrechen des Nationalsozialismus ist mittlerweile fester Bestandteil der deutschen Erinnerungspolitik, die gerade aus der schroffen Gegenüberstellung von NS-Diktatur einerseits und der heutigen bürgerlichen Demokratie andererseits den ideologischen „Mehrwert“ des positiven Bezugs auf die deutsche Nation zieht. Diese vermeintliche Aufarbeitung ist dabei so ausgedehnt wie konsequenzlos, lässt sie doch die gesellschaftlichen und ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus vollkommen außer Acht, die auf das engste mit der deutschen Nation und den bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen verbunden sind. Die Kontinuitäten vom Nationalsozialismus zur deutschen Gesellschaft nach 1945 und insbesondere der BRD bleiben damit ausgeblendet. In dieser postnazistischen, bürgerlichen Gesellschaft nimmt die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit denn auch keinen emanzipatorischen Charakter, sondern faktisch eine für den Nationalstaat und die deutsche Identität notwendige legitimatorische Funktion ein. Diese bezieht sich sowohl auf die allgemeinen Verhältnisse der bürgerlichen deutschen Ordnung als auch auf das konkrete Handeln des deutschen Nationalstaats. Die neuen Kriege des geläuterten Aufarbeitungsweltmeisters werden, wie in Ex-Jugoslawien, nicht trotz, sondern wegen Auschwitz geführt. Das singuläre Wüten des Wahns deutscher Antisemit_innen wird zum moralisch unverdächtigen Legitimationsinstrument zur Durchsetzung deutscher Interessen und damit zum Ticket für die Rückkehr ins Konzert der Großmächte gewendet.
Nicht nur die die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Antisemitismus ist dabei dem nationalen deutschen Interesse untergeordnet. Diese Unterordnung trifft auch auf die deutsche Außenpolitik zu. Das nicht zuletzt mit der Shoah begründete plakative Bekenntnis zu Israel stellt zwar einen festen Bestandteil der deutschen Staatsräson dar. Entgegen der bei jeder Gelegenheit heraus posaunten „besonderen Verantwortung“ der vermeintlich geläuterten deutschen Nation für den Staat Israel ist jedoch festzustellen, dass das Unterlaufen der Sicherheit Israels de facto weiterhin Teil des staatlichen Handelns der BRD ist. Trotz vorhandener gesetzlicher Grundlage, obrigkeitsstaatlicher Mittel und internationaler Ächtung macht die BRD keine Anstalten, deutsche Unternehmen daran zu hindern, Feinde Israels mit Waffen, Rüstungsgütern und militärisch verwendbaren Produkten auszustatten. Eine solche Kollaboration wurde im Falle des Iran im Jahr 2010 unfreiwillig enttarnt, als herauskam, dass das iranische Atomprogramm essentiell auf der Ausstattung durch Siemens-Produkte basiert. Durch diesen Handel unterstützt Siemens die Atombombenherstellung eines Regimes, das die Vernichtung Israels offen auf seine Fahnen geschrieben hat. Darüber hinaus ermöglicht Deutschland dem Iran seit Jahrzehnten die Lizenzproduktion des deutschen Sturmgewehrs G3, des ehemaligen Standardgewehrs der Bundeswehr. Diese deutsche Waffe wird auch von der Hisbollah und der Hamas bei ihren terroristischen Aktionen gegen Israel eingesetzt. Gleichzeitig exportiert Deutschland Waffen wie beispielsweise Kampfflugzeuge und Panzer an eine Reihe von islamistischen Diktaturen wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait und Katar. Diese autoritären Diktaturen, die sich in der Vergangenheit vor allem durch ihre Verachtung der Menschenrechte und ihren offensiv vorgetragenen Antisemitismus und Antizionismus ausgezeichnet haben, zählen mittlerweile zu den wichtigsten Abnehmern deutscher Rüstungsgüter.
Angesichts dessen kann das beständig vorgetragene deutsche Bekenntnis zu Israel, das nicht zuletzt angesichts der terroristischen Angriffe der Hamas im Herbst 2012 seine rituelle Wiederholung fand, nur als Geschwätz bezeichnet werden. Als selbsternannter „ehrlicher Makler“ unterhält Deutschland auch im Nahen Osten politische und wirtschaftliche Beziehungen zu allen Konfliktparteien und sichert sich somit die Wahrung der eigenen Interessen im Rahmen des kapitalistischen Normalvollzugs. Wie allein die oben angeführten Beispiele der deutschen Exportpolitik belegen, werden die Sicherheitsinteressen Israels von seinem vermeintlichen Bündnispartner BRD in dem Moment verraten, sobald es den deutschen Interessen entspricht. Dass das deutsche Bekenntnis zum Existenzrechts Israels als Staatsräson der BRD nicht mehr ist als bloßes, salbaderndes Geschwafel, wurde zuletzt im Herbst des letzten Jahres anschaulich belegt. Als im November 2012 Fatah und Hamas vor der UN gemeinsam gegen die Israel mobil machten und einen Antrag auf die Anerkennung der Palästinensergebiete als Staat in die UN-Vollversammlung einbrachten, enthielt sich Deutschland der Stimme und trug so dazu bei, die Souveränität Israels massiv in Zweifel zu ziehen und seine Existenz damit faktisch zu delegitimieren.
Abseits dieser die Sicherheit und das Bestehen Israels unterlaufenden deutschen Außenpolitik sind Antisemitismus und Antizionismus weiterhin wirkmächtige Ideologien in Deutschland. Große Teile der Bevölkerung bis hin zu den gesellschaftlichen Eliten teilen und transportieren antisemitische Ressentiments. Dass das so bleibt, dafür sorgt nicht zuletzt auch das deutsche Bildungswesen. Eine im Herbst 2012 veröffentlichte Untersuchung belegt, dass in allen den Nahost-Konflikt behandelnden deutschen Schulbüchern eine klare Rollenverteilung von israelischen Tätern und palästinensischen Opfern konstruiert wird. Generell wird Israel die Schuld an Gewalt und dem Konflikt generell gegeben. Gleichzeitig findet sich in allen untersuchten Schulbüchern nicht ein einziger Hinweis darauf, dass die Hamas Israel und alle Jüdinnen und Juden vernichten will. Scheinbar tut der deutsche Staat alles, um die Tradition des deutschen Antisemitismus und Antizionismus auch für die Zukunft zu bewahren. Die Souveränität und das Existenzrechts Israels werden im deutschen Diskurs permanent angegriffen. Während deutscher Menschenrechtsbellizismus anderswo militärische Interventionen mit Auschwitz rechtfertigt, muss sich der Staat der Auschwitz-Überlebenden immer wieder der deutschen Friedensliebe erwehren. So lacht das deutsche Friedensherz, wenn Günter Grass Israel zum allein Schuldigen am Nahostkonflikt und zum Feind des Weltfriedens erklärt. Gern wird in Deutschland auch das Ressentiment gegen Israel als Sorge um die Menschenrechte getarnt. So unterstützt eine Reihe von Mitgliedern staatstragender Parteien antiisraelische Boykottinitiativen wie die von Pax Christi organisierte Kampagne „Besatzung schmeckt bitter“. Die Grünen forderten im Frühjahr dieses Jahres gar eine besondere Kennzeichnung israelischer Produkte und leisteten damit den antiisraelischen Boykottmaßnahmen in guter deutscher Tradition Vorschub.
Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie die Sicherheitsinteressen des jüdischen Staates von deutscher Seite fortwährend nicht nur auf ideologischer Ebene delegitimiert werden, sondern sein Existenzrecht auch auf realpolitischer Ebene faktisch untergraben wird. Wer Antizionismus bekämpfen und sich mit dem Schutzraum von antisemitisch Verfolgten solidarisch zeigen will, kann auf Deutschland nicht zählen. Wo eine Welt ohne Antisemitismus angestrebt wird, müssen die deutschen Verhältnisse überwunden werden. Denn der Hauptfeind bleibt Deutschland.
Zusammen kämpfen gegen Antizionismus und Antisemitismus! Nie wieder Deutschland!