Redebeitrag zur deutschen „Aufarbeitung“ und Außenpolitik, gehalten auf der antifaschistischen Kundgebung „Gemeinsam gegen Antisemitismus“, anlässlich antisemitischer Übergriffe auf Jüdinnen und Juden in Berlin, am 22. August 2014 in Berlin-Charlottenburg.
Das Aufflammen des Antisemitismus in Europa in den letzten Wochen ist erschreckend, aber keineswegs überraschend. Antisemitische Ressentiments sind stets vorhanden und jederzeit abrufbar. Militärische Auseinandersetzung im Nahost-Konflikt führten bereits in der Vergangenheit regelmäßig zur Eskalation von Judenhass und antisemitischer Gewalt. Die Analyse des gegenwärtigen Welle von antiisraelischen Ausschreitungen bringt einige Herausforderungen mit sich. Zum einen muss klar benannt werden, dass der derzeit auf Gaza-Soli Demos geäußerte Antisemitismus nicht von deutschen Neonazis ausgeht, sondern von Teilen der arabisch-muslimischen Community in Deutschland und vermeintlich Friedensbewegten getragen wird. Eine emanzipatorisch Linke darf dazu nicht schweigen, weder aus falsch verstandenem Antirassismus noch aus bündnisstrategischen Überlegungen. Gleichzeitig muss klar gemacht werden, dass Antisemitismus weder ein Phänomen ausschließlich muslimischer Communities noch ein „importiertes“ Problem ist.
Die Kontinuitäten vom Nationalsozialismus zur deutschen Gesellschaft nach 1945 und insbesondere der BRD werden damit ausgeblendet. In dieser postnazistischen, bürgerlichen Gesellschaft nahm die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit keinen emanzipatorischen Charakter, sondern faktisch eine für den Nationalstaat und die deutsche Identität notwendige legitimatorische Funktion ein. Diese bezieht sich sowohl auf die allgemeinen Verhältnisse der bürgerlichen deutschen Ordnung als auch auf das konkrete Handeln des deutschen Nationalstaats. Das singuläre Wüten des Wahns deutscher Antisemit_innen wird zum moralisch unverdächtigen Legitimationsinstrument zur Durchsetzung deutscher Interessen und damit zum Ticket für die Rückkehr ins Konzert der Großmächte genutzt. Die neuen Kriege des geläuterten Aufarbeitungsweltmeisters werden, wie in Ex-Jugoslawien, nicht trotz, sondern wegen Auschwitz geführt..
Nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Antisemitismus ist dabei dem nationalen deutschen Interesse untergeordnet. Diese Unterordnung trifft auch auf die deutsche Außenpolitik zu. Das nicht zuletzt mit der Shoah begründete plakative Bekenntnis zu Israel stellt einen festen Bestandteil der deutschen Staatsräson dar. Diese vermeintliche Israelsolidarität muss als ein Fortbestehen des deutschen Antisemitismus unter gewandelten Vorzeichen verstanden werden. Eine Überwindung des antisemitischen Denkens innerhalb der deutschen Gesellschaft oder gar ihrer staatlichen Repräsentanten bedeutete diese keineswegs. Entgegen der bei jeder Gelegenheit heraus posaunten „besonderen Verantwortung“ der vermeintlich geläuterten deutschen Nation für den Staat Israel ist festzustellen, dass das Unterlaufen der Sicherheit Israels de facto weiterhin Teil des staatlichen Handelns der BRD ist. Trotz vorhandener gesetzlicher Grundlage, obrigkeitsstaatlicher Mittel und internationaler Ächtung macht die BRD keine Anstalten, deutsche Unternehmen daran zu hindern, Feinde Israels mit Waffen, Rüstungsgütern und militärisch verwendbaren Produkten auszustatten. Eine solche Kollaboration wurde im Falle des Iran im Jahr 2010 unfreiwillig enttarnt, als herauskam, dass das iranische Atomprogramm essentiell auf der Ausstattung durch Siemens-Produkte basiert. Durch diesen Handel unterstützt Siemens die Atombombenherstellung eines Regimes, das die Vernichtung Israels offen auf seine Fahnen geschrieben hat. Darüber hinaus ermöglicht Deutschland dem Iran seit Jahrzehnten die Lizenzproduktion des deutschen Sturmgewehrs G3, des ehemaligen Standardgewehrs der Bundeswehr. Diese deutsche Waffe wird auch von der Hisbollah und der Hamas bei ihren terroristischen Aktionen gegen Israel eingesetzt. Gleichzeitig exportiert Deutschland Waffen wie beispielsweise Kampfflugzeuge und Panzer an eine Reihe von islamistischen Diktaturen wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait und Katar. Diese autoritären Diktaturen, die sich in der Vergangenheit vor allem durch ihre Verachtung der Menschenrechte und ihren offensiv vorgetragenen Antisemitismus und Antizionismus ausgezeichnet haben, zählen mittlerweile zu den wichtigsten Abnehmern deutscher Rüstungsgüter.
Abseits dieser die Sicherheit und das Bestehen Israels unterlaufenden deutschen Außenpolitik sind Antisemitismus und Antizionismus weiterhin wirkmächtige Ideologien in Deutschland. Große Teile der Bevölkerung bis hin zu den gesellschaftlichen Eliten teilen und transportieren antisemitische Ressentiments. Dass das so bleibt, dafür sorgt nicht zuletzt auch das deutsche Bildungswesen. Eine im Herbst 2012 veröffentlichte Untersuchung belegt, dass in allen den Nahost-Konflikt behandelnden deutschen Schulbüchern eine klare Rollenverteilung von israelischen Tätern und palästinensischen Opfern konstruiert wird. Generell wird Israel die Schuld an Gewalt und dem Konflikt generell gegeben. Gleichzeitig findet sich in allen untersuchten Schulbüchern nicht ein einziger Hinweis darauf, dass die Hamas Israel und alle Jüdinnen und Juden vernichten will. Scheinbar tut der deutsche Staat alles, um die Tradition des deutschen Antisemitismus und Antizionismus auch für die Zukunft zu bewahren. Die Souveränität und das Existenzrechts Israels werden im deutschen Diskurs permanent angegriffen.
Während deutscher Menschenrechtsbellizismus anderswo militärische Interventionen mit Auschwitz rechtfertigt, muss sich der Staat der Auschwitz-Überlebenden immer wieder der deutschen Friedensliebe erwehren. So lacht das deutsche Friedensherz, wenn Günter Grass Israel zum allein Schuldigen am Nahostkonflikt und zum Feind des Weltfriedens erklärt. Gern wird in Deutschland auch das Ressentiment gegen Israel als Sorge um die Menschenrechte getarnt. So unterstützt eine Reihe von Mitgliedern staatstragender Parteien antiisraelische Boykottinitiativen wie die von Pax Christi organisierte Kampagne „Besatzung schmeckt bitter“. Die Grünen forderten 2013 gar eine besondere Kennzeichnung israelischer Produkte und leisteten damit den antiisraelischen Boykottmaßnahmen in guter deutscher Tradition Vorschub. Nun wird Israel den Export von Milch und Geflügelprodukten aus dem Westjordanland einstellen. Im Februar diesen Jahres bat die EU Israel darum, die Produkte aus Ostjerusalem, den Golanhöhen und aus dem Westjordanland zu Kennzeichnen. Die neuen Richtlinien sollen am 1. September 2014 in Kraft treten. Der europäische Boykott ist heuchlerisch. Doppelstandards werden überdeutlich. Welche Produkte aus besetzten Gebieten müssen noch gekennzeichnet werden?
Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass wer Antizionismus bekämpfen und sich mit dem Schutzraum von antisemitisch Verfolgten solidarisch zeigen will, auf Deutschland nicht zählen kann. In den letzten Wochen gab es etliche Demonstrationen und Kundgebungen bei denen Israel als Aggressor dargestellt wird und die Verbrechen der Hamas unerwähnt blieben. Entgegen dem medial häufig vermittelten Zerrbildes eines muslimischen „Imports“, ließen auch etliche friedensbewegte biodeutsche Intellektuelle und Antiimperialist_innen ihrem Hass auf Israel freien Lauf.
Wer angesichts der aktuellen Entwicklungen Solidarität mit allen Juden_Jüdinnen fordert, muss auch Solidarität mit dem Jüdischen Staat fordern. Denn Israel ist und bleibt der Ort, der Staat, die Zuflucht der Überlebenden von Auschwitz, aller Überlebenden von antisemitischen Zuständen. Israel ist die notwendige Konsequenz, denn es geht ums Leben – als aktiver Part gegen Antisemitismus und als Gegenstück zum Tod, als Gegenstück zur Vernichtung.
Gegen jeden Antisemitismus! Nie wieder Deutschland!