Redebeitrag zu neonazistischen Brandanschlägen im Februar 2018 und die Neuköllner Neonazistrukturen, gehalten auf der antifaschistischen Demonstration „Kein Raum für rechte Hetze! Weg mit dem AfD-Büro in Berlin-Johannisthal!“ am 24.03.2018 in Schöneweide und Johannisthal.
Liebe Antifaschist_innen,
nach den erneuten neonazistischen Brandanschlägen im Februar diesen Jahres sind Neukölln und seine Nazis wieder in aller Munde. Die Serie von Bedrohungen und Angriffen gegen Privatwohnungen, Cafés und Buchläden – die sich mittlerweile seit Mai 2016 zieht – sorgt zu Recht für Aufsehen.
Ein Verdächtiger der jüngsten Anschläge ist Sebastian Thom. Der bekannte Ex-NPD-Kader wurde unmittelbar vor Beginn der ersten Ereignisse in 2016 aus dem Gefängnis entlassen und ist gut bekannt mit Neonazi Julian Beyer, einem der führenden Köpfe der „Freien Kräfte Berlin Neukölln“.
Bei Julian Beyer hatte es (laut eines Artikels in der Morgenpost), Anfang 2017 bereits eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts der Brandstiftung in mehreren Fällen gegeben. Damit nicht genug, er wird außerdem immer wieder mit Angriffen gegen Antifaschist*innen in Verbindung gebracht. So wurde zum Beispiel aufgrund mehrerer Anschläge in der Hufeisensiedlung 2009/2010 gegen ihn ermittelt.
Nach den nun jüngsten Brandanschlägen Anfang Februar 2018 hatte es
Hausdurchsuchungen bei Thom und einer weiteren Person gegeben. Es wurden Speichermedien und Unterlagen beschlagnahmt. Lokale antifaschistische Strukturen hatten bereits mehrfach von Anfang an auf Thom als möglichen Täter hingewiesen. Es ist eine Frechheit gegenüber den Betroffenen, dass die Polizei erst nach anderthalb Jahren tätig wurde. Es zeigt wieder einmal, dass auf staatliche und polizeiliche Ermittlungen kein Verlass ist, besonders nicht, wenn es darum geht, gegen Neonazis vorzugehen.
Während Nordneukölln heute den Ruf hat, ein beliebtes Wohn- und Ausgehviertel zu sein, verfestigten sich die Neonazistrukturen in Südneukölln zu einer Szene, die bis vor wenigen Jahren zu den aktivsten in der ganzen Stadt gehörte. In den Jahren nach 2000 gründeten sich Kameradschaften mit wechselnden Bezeichnungen, wenig später kam ein eigener NPD-Kreisverband dazu. Gemeinsam mit Neonazis aus dem Nachbarbezirk Treptow-Köpenick wurden Aufmärsche für ein „Nationales Jugendzentrum“ organisiert.
Im Berliner Südosten sollte ein Ort exklusiv für diejenigen geschaffen werden, die laut ihrem Weltbild „deutsch“ genug sind. Menschen mit Migrationsgeschichte und politisch Andersdenkende sollten sich, besonders in dem von den Neonazis beanspruchten Ortsteil Rudow, nicht mehr ohne Angst bewegen können. Denn Rudow müsse mit seinem dörflichen Charakter „deutsch“ bleiben, so der Slogan, unter dem die eng mit militanten Gruppen vernetzte Neuköllner NPD 2012 gegen Geflüchtete auf die Straße ging.
Gleichzeitig betätigten sich Neonazis aus Südneukölln in dem stadtweit agierenden Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“. Das Netzwerk wurde vor allem dadurch bekannt, dass es öffentlich Steckbriefe von politischen Gegner_innen und ihren Treffpunkten verbreitet hatte. Nicht wenige der dort aufgeführten Personen und Einrichtungen wurden kurze Zeit später gezielt angegriffen. Weil sich im Süden Neuköllns Widerstand formierte, konzentrierte sich die Rudower Naziszene zunehmend auf nächtliche Anti-Antifa Aktionen, um gegen ihre Gegner_innen im Norden vorzugehen. Unbehelligt von der Polizei und so genannten Sicherheitsbehörden konnten sie ihr klandestines Vorgehen über Jahre perfektionieren. Der überschaubare Personenkreis knüpft unter dem Label „Freie Kräfte Berlin Neukölln“ an die Aktivitäten des ehemaligen NW-Berlin an und veröffentlichte im Sommer 2016 eine Liste mit linken Lokalitäten, samt kaum verhohlenem Aufruf, gegen diese vorzugehen. Neben dieser wurde zum 9. November ebenfalls eine Auflistung mit jüdischen Einrichtungen in Berlin veröffentlicht. Daneben wurden immer wieder Stolpersteine beschädigt und entfernt.
Antifaschist_innen beschäftigen sich bereits seit mehr als dreißig Jahren mit Neonazis im Bezirk. Selbst in linken Kreisen gerät häufig in Vergessenheit, dass der Bezirk schon lange vor der Wiedervereinigung als eine der Neonazi-Hochburg West-Berlins galt. Hetzjagden von rechten Skinheads und Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte waren Anfang der 1990er Jahre keine Seltenheit. Passend zu der Historie, bekommen rechte Parteien insbesondere im Süden des Bezirks traditionell mehr Stimmen als anderswo.
In einem solchen Klima – wo die Polizei und sog. Sicherheitsbehörden unzureichend ermitteln, Nazis unbehelligt Brandanschläge verüben und die Neuköllner CDU sich nicht zu schade dafür ist, in der BVV gemeinsame Sache mit der AfD zu machen, um unter fadenscheinigen Argumenten und mit Extremismus-Vorwürfen gegen das sich zivilgesellschaftlich gegen rechts engagierende Bündnis Neukölln vorzugehen – ist es umso wichtiger, die vorhandenen Strukturen zu unterstützen. Organisiert euch, lasst sie nicht aus den Augen.
Recherche, Analyse, Aktion – Antifa bleibt Handarbeit!