Liebe Antifaschist_innen,
vor zwei Jahren am 9.November 2018 jährten sich die antisemitischen Novemberpogrome zum 80.Mal. Nunmehr im 28. Jahr zog an diesem Tag eine antifaschistische Gedenkdemonstration durch Moabit. Ihr Leitsatz sind die berühmt gewordenen Worte des Überlebenden Primo Levi aus seinem letzten Buch „Die Untergegangenen und die Geretteten“: Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.
Wir als Gruppen, die die Demonstration ins Leben gerufen oder aber über Jahre getragen haben, hatten den Jahrestag zum Anlass genommen, nicht nur für einen Rückblick, sondern auch für eine kritische Bestandsaufnahme und eine Diskussion über Perspektiven antifaschistischer Gedenkpolitik zum 9.November.
Liebe Antifaschist_innen,
vor zwei Jahren am 9.November 2018 jährten sich die antisemitischen Novemberpogrome zum 80.Mal. Nunmehr im 28. Jahr zog an diesem Tag eine antifaschistische Gedenkdemonstration durch Moabit. Ihr Leitsatz sind die berühmt gewordenen Worte des Überlebenden Primo Levi aus seinem letzten Buch „Die Untergegangenen und die Geretteten“: Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.
Wir als Gruppen, die die Demonstration ins Leben gerufen oder aber über Jahre getragen haben, hatten den Jahrestag zum Anlass genommen, nicht nur für einen Rückblick, sondern auch für eine kritische Bestandsaufnahme und eine Diskussion über Perspektiven antifaschistischer Gedenkpolitik zum 9.November.
Die Geheime Staatspolizei nutzte die ehemalige Synagoge in Levetzowstraße zwischen Oktober 1941 und November 1942 als Sammellager. Sammellager, schreibt der Historiker Philipp Dinkelaker in seiner vor zwei Jahren erschienenen Dissertation über die Geschichte des Lagers, sind Internierungsorte in denen zur Deportation bestimmte Jüdinnen und Juden bzw. antisemitisch Verfolgte kurz vor ihrer Deportation (…) zusammengetrieben, registriert und ausgeplündert wurden. Am hellichten Tag wurden die Deportierten von dort aus unter den Augen der Moabiter_innen zu Fuß durch das Viertel zum Deportationsbahnhof an der Putlitzbrücke getrieben. Die Route unserer Demonstrationen orientierte sich an ihrem Weg.
Die Erinnerung an den 9.November 1938 als Auftakt zur Vernichtung wachzuhalten, ist heute wichtiger denn je. Der Phase der Reintegration alter NS-Eliten ist in eine Phase der demonstrativen Läuterung übergegangen. Die Verleugnungsgemeinschaft hat sich gewandelt zur stolzen Erinnerungsgemeinschaft, die für ihr Holocaustmahnmale beneidet werden will. An der Notwendigkeit einer radikalen Kritik an dieser deutschen Gedenkpolitik hat sich dadurch nichts geändert. Zumal die Angriffe auf das Shoah-Gedenken bis hinein in die Parlamente wieder zunehmen. Eine tatsächliche Aufarbeitung der Verbrechen und der gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Nationalsozialismus hervorgebracht haben, hat es nie gegeben.
Der Antisemitismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft wird bestenfalls in historisierter Form thematisiert. Demgegenüber muss Antisemitismus als stets mobilisierbarer Teil deutscher Normalität benannt werden. Er äußert sich in trauriger Regelmäßigkeit in verschwörungsideologischen Bedrohungsfantasien, die auf den Demonstrationen der sogenannten Coronakritiker*innen in diesem Jahr viral gingen, in Dämonisierung des israelischen Staates oder ganz konkret in Schmierereien und körperlichen Angriffen und gipfelte jüngst in dem Attentat auf die Synagoge in Halle und der vorhergehenden Ignoranz der Sicherheitsbehörden – jüdisches Leben in Deutschland wird nicht ausreichend geschützt. Teil einer umfassenden Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen ist es auch, nicht zu verschweigen, dass Antisemitismus in allen gesellschaftlichen Spektren verbreitet ist. Sich als Teil der (radikalen) Linken verstehenden Gruppen sind genauso wenig frei davon wie migrantische Communities. Dies gilt es festzustellen, ohne das Spiel der rassistischen Externalisierung des Antisemitismus als vermeintlich „Importgut“ mitzuspielen. Unsere Demonstration war geprägt von ihrer Entstehungsgeschichte Anfang der 1990er Jahre von Beginn an auch eine explizit antirassistische Demonstration gegen den brandschatzenden Volksmob, alte und neue Nazis, genauso wie gegen Sondergesetze und Asylrechtsverschärfungen.
Die antifaschistische Perspektive des „Nie wieder“ wird künftig ohne die Autorität und die emotionale Brücke der Zeitzeug_innen auskommen müssen, die als Redner_innen über lange Jahre die Gedenkkundgebung zum Auftakt unserer Demonstration geprägt haben. Wir werden den Weg mit möglichst vielen von euch dennoch weitergehen und hoffen diese Broschüre kann dazu eine anregende Lektüre sein.