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Der NSU war nicht zu dritt
Am 11. Juli 2020 sind zwei Jahre vergangen, seit das Urteil zum NSU-Prozess verkündet wurde. Nach jahrelanger dichter Beweisführung, Aufdeckung der weitreichenden Kenntnis beziehungsweise Beteiligung des Verfassungsschutzes an den Taten des NSU, den Skandalen um das Schreddern relevanter sowie die Verschließung wichtiger Akten durch den Verfassungsschutz, konnte man darauf hoffen, dass wenigstens die engsten Unterstützer_innen hohe Gefängnisstrafen erwarten würden – aber weit gefehlt. Beispielsweise ist das Strafmaß von rund zweieinhalb Jahren Freiheitsentzug für André Eminger harmlos angesichts dessen, dass er immerhin 13 Jahre zum Unterstützungskreis einer mordenden und bombenlegenden rechtsterroristischen Untergrundorganisation gehörte. Weitere Unterstützer_innen wurden strafrechtlich in die Bedeutungslosigkeit gerückt. Dieses Urteil ist immer noch ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und aller sich solidarisch zeigenden Personen und kann, so Patrycja Kowalska (Sprecherin der Kampagne Kein Schlussstrich), als politischer Freispruch des Unterstützungsnetzwerkes gewertet werden. (https://www.antifainfoblatt.de/artikel/kein-schlussstrich-ein-versprechen-f%C3%BCr-die-zukunft)
Rechtsterroristische Einzelfälle
Es wundert daher auch nicht, dass die Liste der rechtsterroristischen Gruppen und Anschläge seit der Selbstenttarnung des NSU sehr lang ist. (vgl. bspw. https://www.belltower.news/ueberblickrechter-terror-in-deutschland-2015-2019-81185/) Die genannten, medial viel Aufmerksamkeit generierenden Fälle, wie die Anschläge in Halle oder Hanau, sind nur die Spitze eines Eisberges, dessen Fundament unzählige tägliche antisemitische und rassistische Bedrohungen sowie etliche Anschläge auf Geflüchtete und Geflüchtetenunterkünfte darstellt. Mitte Juni hat der Prozess gegen Stephan Ernst begonnen, der im Juni 2019 mutmaßlich den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen hat. Wir sollten eine lückenlose Aufklärung des Mordes durch das Oberlandesgericht Frankfurt erwarten. Einen Prozess, in dem keine Fragen offen bleiben, Neonazi-Netzwerke genau beleuchtet und Verstrickungen des Verfassungsschutzes offengelegt werden. Mit dem NSU-Prozess aber wurden wir erneut daran erinnert, dass deutsche Behörden und Gerichte kein Interesse an weitreichenden Ermittlungen und Einordnungen in bundesweite Neonazi-Netzwerke haben, sondern alle deutschen Rechtsterroristen Einzeltäter seien.
Ebenfalls in Hessen wurden vor einigen Wochen Mordrohungen an eine linke Politikerin verschickt, die mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterschrieben waren. Einen ähnlichen Fall gab es bereits 2018, als eine Anwältin der Nebenkläger_innen im NSU-Prozess rechtsradikale Drohbriefe erhielt. Bei beiden Frauen wurden vor dem Versenden der Mail persönliche Daten von hessischen Polizeicomputern abgefragt. Die Vermutung liegt nahe, dass es entweder ein Netzwerk oder mindestens eine Gruppe von rechten Polizist_innen in Frankfurt am Main gibt.
Antifa – muss man selber machen
Das Urteil und die fehlende Aufklärung der NSU-Mordserie hat einen Anteil an der Entwicklung rechter Anschläge und Gruppen. Diese Art der Rechtsprechung ist problematisch, da sie zum Nährboden für weitere rechtsterroristische Gruppen werden kann. Der Prozess zum NSU-Komplex besaß einen Vorbildcharakter für nachfolgende, auch den NSU betreffende, Prozesse. Die Konsequenz: Nazis wissen, sie müssen keine (schwerwiegende) juristische Verurteilung befürchten. Das zeigt sich auch an den Zahlen: Im Vergleich von 2018 zu 2019 ist die sogenannte rechtsextreme politisch motivierte Kriminalität nach Behördenzählungen um 1.881 Fälle gestiegen (2018 = 19.409; 2019 = 21.290). Das entspricht rund 58 rechtsextreme Straftaten pro Tag im Jahr 2019 – und es ist davon auszugehen, dass die Zahlen in Realität noch viel höher sind. Weiterhin ist auch absolut zu verurteilen, wie wenig der NSU-Komplex im Prozess selbst aufgearbeitet wurde. Bis heute, zwei Jahre nach dem Urteilsspruch, zeigen all die offenen Fragen, dass das Versprechen der deutschen Politik zur Aufklärung des NSU nicht gehalten worden sind. So ist Berlin beispielsweise eines der Bundesländer, das nicht einmal einen NSU-Untersuchungsausschuss eingesetzt hat, obwohl laut dem Stand der Ermittlungen das Kerntrio des NSU auch in Berlin Objekte ausspähte, wie etwa die Synagoge in der Rykestraße (https://irgendwoindeutschland.org/aufruf-demonstration-berlin-4-jahre-nsu-prozess-keinschlussstrich/).
Am 11. Juli 2020 jährt sich die Urteilsverkündung des NSU-Prozesses zum zweiten Mal und weiterhin kann von einer Aufklärung des NSU-Komplex keine Rede sein. Gerade zur jetzigen Zeit, in der die rechten Anschläge und Aktivitäten in Berlin-Neukölln seit Jahren nicht aufgeklärt werden und in der Medien nach dem Brand in einem libanesischen Restaurant mit mehreren Schwerverletzten von „flambierten Döner“ witzeln, ist es um so wichtiger immer wieder an die Leerstellen sowie offenen Fragen zu erinnern, die der NSU-Prozess hinterlassen hat. Es gilt den weiterhin existierenden, gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus zu entlarven, anzuprangern und zu bekämpfen.
Es wurden Plakate erstellt, die offene Fragen bezüglich des NSU in Berlin aufwerfen.
Ladet euch die Plakate runter, druckt sie aus und tapeziert die Stadt damit.
Weitere Infos zum NSU und dem Prozess gibt es hier:
https://nsuprozess.net/
https://www.nsu-watch.info/
#keinschlussstrich #nsuprozess
Hier findet ihr die Plakate: https://de.indymedia.org/node/95106